von Dr. Nina Alff, Bildungsreferentin Oikocredit Förderkreis Baden-Württemberg e.V.
Es ist nicht einfach zu klären, was Empowerment genau bedeutet. Wenn wir über das Empowerment von Frauen sprechen, dann stammt eine der besten Definitionen von Naila Kabeer (1999), einer renommierten Wissenschaftlerin und Entwicklungsexpertin aus Bangladesch. Sie betont, „dass es bei Empowerment von Frauen um den Prozess geht, durch den diejenigen, denen die Fähigkeit, strategische Lebensentscheidungen zu treffen, vorenthalten wurde, diese Fähigkeit bekommen." Das klingt kompliziert, bedeutet aber vor allem, dass Empowerment Veränderungsprozesse beinhaltet.
Was sind strategische Lebensentscheidungen?
Können Sie sich vorstellen, dass Sie nicht entscheiden dürfen, mit wem und wo Sie leben wollen, ob Sie Kinder haben oder ob Sie ein Geschäft eröffnen möchten – obwohl Sie das selber entscheiden könnten? In unseren privilegierten Ländern des globalen Nordens können die meisten Mädchen und Frauen strategische Lebensentscheidungen treffen (wenn auch nicht alle!), in vielen Regionen des globalen Südens werden Mädchen und Frauen diese Menschenrechte immer noch verwehrt. UNICEF schätzt, dass jedes Jahr zwölf Millionen Mädchen als Teenager verheiratet werden – und die meisten dieser Mädchen müssen einen Mann ehelichen, den sie nicht einmal kennen, weil ihre Eltern für sie diese Entscheidung getroffen haben.
Wenn wir von Wahlmöglichkeiten sprechen, impliziert das, dass Frauen mehrere Optionen haben und die Fähigkeit, daraus zu wählen. Die Fähigkeit, strategische Lebensentscheidungen zu treffen, erfordert nach Kabeer drei miteinander verknüpfte Dimensionen:
1) Der Zugang zu Ressourcen im Sinne von materiellen Ressourcen (Kredite, Land, Maschinen etc.), immateriellen Ressourcen (Bildung, Ausbildung, Information) und sozialen Ressourcen (Netzwerke, Kreditgruppen, Kooperativen).
2) Entscheidungsmacht über die Nutzung von Ressourcen, Verhandlungsmacht in Familien, Gemeinschaften und in der Gesellschaft.
3) Errungenschaften nutzen können, im Sinne, die Früchte der geleisteten Aktivitäten, Arbeiten etc. zu nutzen.
Empowerment von marginalisierten Gruppen und Personen ist ein Prozess. Machtverhältnisse werden in Frage gestellt, um mehr Gleichheit zu erreichen. Wenn eine Gruppe ermächtigt wird, bedeutet das gleichzeitig, dass andere Gruppen oder Personen entmachtet werden. Stimmt das so? Nicht immer, zum Beispiel, wenn Frauen ihr eigenes Einkommen in den Haushalt einbringen, profitieren die Männer ebenso. Wenn Frauen in Unternehmen Entscheidungsgewalt haben, steigert das meist die Effizienz von Prozessen. Wenn hingegen Landreformen zugunsten landloser Tagelöhner*innen durchgeführt werden, verlieren Großgrundbesitzer Macht, Einfluss und wahrscheinlich Gewinne.
Wenn wir über das Empowerment von Frauen sprechen, sollten wir die vielfältigen und oft miteinander verknüpften Dimensionen des Empowerments sorgfältig differenzieren. Sprechen wir von persönlicher, wirtschaftlicher, politischer, sozialer oder rechtlicher Ermächtigung?
Oikocredit unterstützt in erster Linie die wirtschaftliche Selbstbestimmung von Frauen. Dies geschieht durch den Zugang zu fairen Krediten und durch den Aufbau von Wissen und Knowhow in Frauengruppen durch Partnerorganisationen. Indirekt tragen viele der Partnerorganisationen von Oikocredit zur persönlichen Stärkung von Frauen bei, indem sie Schulungen zu Verhandlungs- und Marketingfähigkeiten anbieten oder Informationen zu Menschenrechtsfragen weitergeben.
"Ich habe keine Angst mehr"
Die Geschichte einer erfolgreichen Schneiderin und Kundin einer Frauenkreditgruppe, die ich in Lima (Peru) getroffen habe, werde ich nie vergessen. Sie erzählte mir, wie sie ihre Schneiderei gründete, wie sie die Kredite in moderne Nähmaschinen investierte und wie dadurch ihr Kundenstamm stetig wuchs. Das Ergebnis war bemerkenswert: ein eigenes, dreistöckiges Haus und eine Universitätsausbildung für ihre Töchter. Was mich wirklich beeindruckte, war ihre Erzählung über einen Workshop der Oikocredit-Partnerorganisation zum Thema „Menschen- und Frauenrechte“. Dort hörte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, dass es in Peru ein Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt gibt, d. h. dass Männer ihre Frauen nicht verprügeln dürfen. "Unsere Männer trinken manchmal zu viel und dann beleidigen sie uns oder werden übergriffig. Das ist nicht in Ordnung." Wir haben gelernt, „nein“ zu sagen, wenn Männer gewalttätig werden“. Und sie sagt stolz und mit großem Selbstbewusstsein, dass sie keine Angst mehr hat und ihre Anliegen in ihrer Familie durchsetzt. Sie ist eine Aktivistin für die Rechte der Frauen geworden!
Die Schneiderin Alicia Quispe in ihrem Atelier. Foto: Oikocredit
Das ist individuelles Empowerment in der effektivsten Form - denn sie wird ihre Töchter und Söhne entsprechend erziehen, ihren Freund*innen davon berichten und andere ermutigen, gegen Ungerechtigkeiten aufzustehen.
Finanzielle Inklusion kann der erste Schritt sein...
Finanziell unabhängig zu sein, ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung Empowerment. Dabei spielen die Oikocredit-Partnerorganisationen eine wichtige Rolle. Wenn darüber hinaus Workshops zu Frauenrechten, Gesetzgebung und Führungsqualitäten stattfinden, gewinnen die Frauen Wissen, Fähigkeiten und Selbstvertrauen, um über mögliche strategische Lebensentscheidungen nachzudenken.
Quelle: Kabeer, Naila 1999: Resources, Agency Achievements: Reflections on the Measurement of Empowerment.
https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/kinderehen-weltweit-fragen-und-antworten/199066